In diesem Beitrag stellen wir dir 5 alltagstaugliche Fokus-Techniken vor, mit denen du bei ADHS deine Konzentration verbessern kannst – ohne dich zu verbiegen.
ADHS bedeutet nicht, dass du „zu wenig Willenskraft“ hast. Dein Gehirn arbeitet schlicht anders: Bei Menschen mit ADHS werden Reize ungefiltert verarbeitet, die Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin sind im Ungleichgewicht, und die Motivation springt besonders stark auf interessante Reize an [1].
Langweilige oder eintönige Aufgaben fühlen sich dadurch schnell unerträglich an. Typische Symptome von ADHS wie Prokrastination, innere Unruhe, Impulsivität und Schwierigkeiten bei der Steuerung der Aufmerksamkeit können den Alltag stark beeinträchtigen [2].
Trotzdem kannst du deinen Fokus trainieren – auf eine Art und Weise, die zu dir als neurodivergenten Menschen passt.
Schnellübersicht:
✓ Pomodoro-Technik: 10–15 Min. Fokus-Wellen
✓ Brain Dump: Aufgaben externalisieren
✓ Mikro-Bewegungen gegen Hyperaktivität
✓ Reizmanagement: Umfeld optimieren
✓ Selbstfürsorge: Routinen statt Druck
Inhaltsverzeichnis
1. Fokus in Wellen: Hyperfokus und Ablenkung managen
Viele Menschen mit ADHS kämpfen mit zwei Extremen:
Hyperfokus: plötzlich 3 Stunden in einer Aufgabe versinken und die Zeit vergessen
Null-Fokus: schon beim Start blockiert sein, Prokrastination oder Aufschieberitis
Statt dich dazu zu zwingen, „einfach mal dranzubleiben“, hilft es, bewusst in Fokus-Wellen zu arbeiten. Diese Strategie orientiert sich an der Pomodoro-Technik, die sich besonders für ADHS-Betroffene eignet, weil sie klare Struktur bietet und Hyperfokussierung über zu lange Zeiträume verhindert.
So setzt du die Technik um:
Starte klein: Stell dir einen Timer auf 10–15 Minuten und nimm dir eine klar definierte Aufgabe vor (z. B. E-Mail an X beantworten, Spülmaschine ausräumen). Die Zeit wird dadurch besser greifbar.
Mache nach jeder Fokusphase 3–5 Minuten Pause. Strecke dich kurz, trinke etwas, gehe ein paar Schritte – bitte kein Social Media, um Unterbrechungen durch Benachrichtigungen zu vermeiden.
Wiederhole 2–4 Fokus-Wellen hintereinander. So kommst du auf 30–60 Minuten konzentrierte Zeit, ohne dass es sich nach einem „Marathon“ anfühlt. Diese Pomodoro-Methode hilft dir, die Konzentration zu halten.
Je nach Tagesform kannst du die Fokus-Wellen anpassen. Wichtig: Starte nicht mit 45 Minuten – lieber Erfolgserlebnisse als Frustration. Viele Menschen mit ADHS arbeiten in kurzen Intervallen effizienter.
Bonus-Tipp:
Mach dir einen sichtbaren Zettel oder eine Notiz: „Nur 10 Minuten. Danach kurze Pause.“ Das senkt deinen inneren Widerstand enorm und hilft bei der Impulskontrolle.
2. Klarheit im Kopf: Aufgaben externalisieren für mehr Konzentration
ADHS und Fokus scheitern oft nicht an mangelnder Intelligenz, sondern an der Menge offener Schleifen im Kopf:
- Ich muss noch…
- Nicht vergessen, später…
- Oh, das auch noch…
Das Gehirn ist ein sehr guter Problemlöser, aber bei ADHS häufig mit zu vielen gleichzeitigen Reizen überlastet. Vergesslichkeit und kognitive Überlastung sind typische Symptome. Wenn du Aufgaben aus dem Kopf in ein externes System überträgst, kannst du die Informationen besser verarbeiten.
So setzt du die Strategie um:
Ein zentrales System statt 10 Zettel:
- eine Notiz-App (z. B. Apple Notizen, Erinnerungen, Google Keep, Obsidian)
- ein kleines DIN-A5-Heft nur für Aufgaben
ADHS-freundlicher Ablauf für besseres Selbstmanagement:
Brain Dump: 5–10 Minuten alles aufschreiben, was im Kopf rumschwirrt.
Priorisieren: Markiere 3 Prioritäten für heute.
Was bringt dich wirklich weiter bzw. ist wirklich notwendig?Nur mit diesen drei Prioritäten planen. Alles andere kannst du später auch machen.
Statt dich dafür zu verurteilen, dass du „nie alles schaffst“, gib deinem Gehirn ein klares Spielfeld: Nur diese 3 Aufgaben zählen heute – den Rest habe ich notiert. Diese Strategie für den Alltag reduziert Überforderung und hilft, Prokrastination zu minimieren.
3. Körper als Verbündeten nutzen: Mikro-Bewegungen gegen Hyperaktivität
Stillsitzen ist für viele Menschen mit einer ADHS eher Folter als Fokus-Bedingung. Hyperaktivität und innere Unruhe sind Kernsymptome, die sich nicht einfach „abstellen“ lassen. Bewegung kann dir dabei helfen, diese innere Unruhe abzubauen und danach klarer zu denken. Das Leben mit ADHS wird dadurch nicht eingeschränkt, sondern um praktische Alltagstipps erweitert.
Alltagstaugliche Fokus-Mikro-Bewegungen:
- Fokus-Spaziergang (5-10 Minuten)
Bevor du etwas Anspruchsvolles beginnst, kurz rausgehen, Beine bewegen, Schultern lockern. Kein Handy, einfach auf dich zukommen lassen, was kommt. Das kann Dopamin freisetzen und die Aufmerksamkeit und Konzentration verbessern. - Bewegungs-Anker am Arbeitsplatz
- Kleiner Stressball oder Knetball
- Stift in der Hand drehen
- Mit den Zehen wippen oder Füße bewusst bewegen. Solange dich das nicht ablenkt, darf dein Körper „mitarbeiten“. Dass Menschen mit ADHS oft Bewegung zum Denken brauchen, ist neurologisch begründet.
- Steh- oder Wechsel-Arbeitsplatz
Wenn möglich: zwischendurch im Stehen arbeiten oder den Ort wechseln (anderer Tisch, Küche, Bibliothek). Ortswechsel = Reizwechsel = oft neuer Fokus durch eine neue Arbeitsumgebung.
Wichtig: Fokus heißt nicht „körperliche Starre“. Gerade bei ADHS im Erwachsenenalter kann eine dosierte körperliche Aktivierung dein Gehirn erst in den Fokus-Modus bringen und hyperaktive Impulse in produktive Bahnen lenken.
4. Reizmanagement: Dein Umfeld fokussiert für dich mit
ADHS-Gehirne sind extrem reizoffen. Das ist eine Stärke für Kreativität, aber ein Problem, wenn du konzentriert arbeiten willst. Menschen mit ADHS haben oft Schwierigkeiten, unwichtige Reize auszublenden – ein Symptom, das mit wenig Dopamin und einer gestörten Aufmerksamkeitssteuerung zusammenhängt [3].
Statt dich allein auf Willenskraft zu verlassen, kannst du dein Umfeld so gestalten, dass es dich unterstützt.
Konkrete Schritte für weniger Ablenkung:
- Handy in den Flugmodus oder in ein anderes Zimmer: vor allem bei Fokusaufgaben – das hilft, Ablenkung durch Benachrichtigungen zu minimieren
- Nur ein Tab, nur eine Aufgabe: Schließe alles, was du jetzt gerade nicht brauchst. Menschen mit ADHS fällt Multitasking oft schwer.
- Fokus-Zone definieren: Egal ob Schreibtisch, Sofa-Ecke oder Bibliothek – dein Gehirn darf lernen: Hier machen wir jetzt Fokus-Aufgaben. Eine klare Struktur hilft bei ADS und ADHS.
- Noise-Management: Noise-Cancelling-Kopfhörer mit neutraler Fokus-Musik oder eine ruhige Umgebung können dir helfen, Reize einzuschränken.
Jede Ablenkung, die du vorab entfernst, musst du später nicht mit Selbstdisziplin bekämpfen. Technische Hilfsmittel helfen dir dabei, zuverlässig zu arbeiten.
5. Fokus mit Freundlichkeit: Routine und Selbstfürsorge statt Druck
Viele Menschen mit ADHS kennen diesen inneren Dialog:
- „Warum bekomme ich das nicht hin?“
- „Andere schaffen es doch auch.“
Dieser Druck verschlechtert deinen Fokus oft zusätzlich. Stress kann dein Nervensystem überladen und Symptome wie Impulsivität und Unaufmerksamkeit verstärken. Stattdessen hilft ein freundlicher, aber klarer Umgang mit dir selbst – eine Form der Psychoedukation und bewussten Selbstwahrnehmung.
So kannst du Fokus-Routinen aufbauen:
- Rituale statt „mich irgendwann überwinden“:
- z. B. immer nach dem Frühstück 20 Minuten Fokuszeit
- jeden Abend 10 Minuten aufräumen + 5 Minuten Planung
Feste Routinen helfen, Verhaltensmuster zu verändern.
- Feiere Mini-Erfolge:
Hast du es geschafft, 10 Minuten lang dranzubleiben? Erkenne das bewusst an und freue dich darüber. Kleine Dopamin-Kicks helfen dir, dranzubleiben. - Nicht-Fokus-Phasen sind normal:
Plane deinen Tag so, dass es Slots gibt, in denen du „zerstreut“ oder „abgelenkt“ sein darfst. Das gehört zum Alltag mit ADHS dazu. - Selbstgespräche umformulieren:
Statt „Ich bin faul“ → „Mein Gehirn braucht andere Rahmenbedingungen für einen besseren Fokus.“ Diese Selbstfürsorge hilft, ADHS besser zu verstehen.
Fokus ist für viele ADHS-Menschen kein Schalter, sondern ein Training mit dem Nervensystem. Training braucht Zeit, aber auch eigenes Verständnis. Tipps für eine bessere Selbstwahrnehmung können dabei den Unterschied machen.
Wie Meditation & Headletic dabei helfen können
Klassische Meditation wirkt gerade bei ADHS oft abschreckend: lange stillsitzen, nichts denken, nicht bewegen. Für Menschen mit ADHS und Hyperaktivität kann das schwer umzusetzen sein. Genau hier können spezialisierte Ansätze unterstützen:
- Geführte, kurze Meditationen, die dich anleiten und nicht allein lassen – das reduziert Überforderung
- Atemübungen & Körperfokus, die dir bei der Regulation des Nervensystems helfen und Symptome wie innere Unruhe lindern können
- Alltagstaugliche Mikro-Meditationen (2-5 Minuten), die du zwischen deinen Fokus-Wellen einsetzen kannst, ohne dass es sich nach zusätzlicher Pflichtaufgabe anfühlt
So wird Meditation zu einem Werkzeug, das deine Fokus-Fähigkeiten Schritt für Schritt verbessert und dich dabei unterstützt, Lösungen für typische ADHS-Herausforderungen im Alltag zu finden.
Mehr zum Thema Meditation bei ADHS findest du in unserem ausführlichen Artikel Meditation bei ADHS: Warum stillsitzen nicht das Ziel ist. Dort erfährst du, welche Meditationstechniken speziell für neurodivergente Menschen geeignet sind und wie du sie in deine tägliche Routine einbauen kannst.
Häufige Fragen zu Fokus-Techniken bei ADHS
Wie kann ich bei ADHS meine Konzentration verbessern?
Mit der Pomodoro-Technik in kurzen Fokus-Wellen (10–15 Minuten), klarem Reizmanagement und der Externalisierung von Aufgaben kannst du deine Konzentration schrittweise trainieren.
Warum fällt Menschen mit ADHS Fokussieren schwer?
Bei ADHS ist die Verarbeitung von Dopamin und Noradrenalin im Gehirn anders. Reize werden ungefiltert wahrgenommen, was zu Ablenkung und Prokrastination führen kann.
Hilft Bewegung bei ADHS-Symptomen?
Ja, Mikro-Bewegungen können Hyperaktivität produktiv kanalisieren und das Gehirn in den Fokus-Modus bringen. Kurze Spaziergänge setzen Dopamin frei.
Fazit: Fokus bei ADHS ist möglich – aber auf eine andere Art
ADHS bedeutet nicht, dass du unfähig bist, dich zu konzentrieren. Es bedeutet, dass in deinem Gehirn viele Impulse verarbeitet werden und es schwieriger ist, den Fokus zu halten – bedingt durch neurologische Besonderheiten, die sich diagnostisch messen lassen. Daher brauchst du andere Rahmenbedingungen und praktische Strategien, um in den „Fokus-Modus“ zu kommen:
- Fokus in Wellen – mit der Pomodoro-Technik Aufgaben in kleine, bewältigbare Zeitfenster aufteilen
- Gedanken aus dem Kopf – Externalisierung als Zeitmanagement-Strategie nutzen
- Bewegung als Verbündeten – Hyperaktivität produktiv kanalisieren statt unterdrücken
- Umfeld gestalten – Reize reduzieren, damit dein Gehirn nicht ständig gegen Ablenkung ankämpfen muss
- Mit dir selbst freundlicher umgehen – Routine und Selbstfürsorge statt Selbstkritik einbauen
Du musst dich nicht an ein System anpassen, das nicht für dich gebaut wurde. Du darfst dir dein eigenes System bauen, das genau zu dir passt. Menschen mit ADHS haben oft besondere Stärken wie Kreativität und die Fähigkeit zum Hyperfokus – es geht darum, diese zu nutzen und gleichzeitig praktische Alltagstipps anzuwenden, die dein Leben mit ADHS erleichtern.
Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Diagnostik oder ADHS-Therapie. Die vorgestellten Techniken dienen als Alltagshilfen und ersetzen nicht die Beratung durch einen Facharzt, Therapeuten oder bei Kindern durch einen Kinderarzt. Bei Verdacht auf ADHS oder ADS wende dich bitte an eine spezialisierte Fachperson für eine professionelle Diagnostik.
Quellen
[1] ADHS Deutschland e.V. – Informationen zu ADHS bei Erwachsenen
[2] Zentrales ADHS-Netz – Symptome und Diagnostik
[3] Neurologen und Psychiater im Netz – Neurobiologie von ADHS